Ein Kloster wird von vielen Menschen gern als ein „Ort der Stille“ betrachtet. Viele Klöster werben sogar mit diesem Attribut. Aber ich kenne mich da aus. Still ist es im Stift Fischbeck eher selten, wenn ich unter „Stille“ eine ganz geräuschfreie Stille verstehe. Sie will gesucht und gefunden werden. Manchmal entdecke ich sie in unserer Krypta. Besonders am späten Abend, wenn sich keine aufgebrachte Amsel über unseren Gesang aufregt oder Kinder auf dem Helmburgisplatz spielen.
Der Stille lauschen ist etwas Kostbares
Allein in der Krypta zu stehen und der Stille zu lauschen ist für mich etwas ganz Kostbares. Ich denke dann auch an die vielen Frauen, die vor mir hier gelebt, gesungen und gebetet haben. Wenn ich ganz still bin, fühle ich mich mit ihnen verbunden.
Meine Gedanken gehen einige Jahre zurück und erinnern mich an einen ganz besonderen Winternachmittag. Unsere Seniorin, Frau Wendorff, rief mich an und sagte: „lassen Sie alles stehen und liegen und kommen Sie sofort in die Kirche, ich will Ihnen etwas zeigen.“ Ich eilte. Und dann sah ich es: In die dämmrige Kirche kam ein Strahl der Wintersonne und erhellte das Triumphkreuz, das hoch oben in der Kirche hängt, als hätte man einen Scheinwerfer darauf gerichtet. Es war magisch. Wir saßen in der Prieche und wurden ganz still. Bis die Sonne tiefer sank und nur die Dämmerung blieb.
Später erzählte sie mir, dass dieses Lichtspiel nur an ganz wenigen Wintertagen zu sehen sei. Die Sonne müsse dann einen besonderen Tiefstand haben.
Stille kann aber auch lästig sein
Ich erinnere mich gut an die Zeit vor vielen Jahren, als in unserer Stiftskirche die Orgel intoniert wurde, das heißt, das Instrument musste nach dem Einbau ganz fein gestimmt werden. Das dauerte einige Wochen. Und der Spezialist an der Orgel war extrem geräuschempfindlich. Führungen durch die Kirche mussten abgesagt werden. Durch den Kreuzgang sind wir nur noch geschlichen und wehe, es hätte eine Tür geknarrt oder jemand gehustet. Eine absolute Stille brauchte der Herr, um den richtigen Ton zu hören und festzulegen. Nun – heute wissen wir: es hat sich gelohnt.
Der Geigenbauer Martin Schleske sagte einmal: „Stille ist für mich ein absolutes Lebenselixier. Ohne sie fehlt mir die Kraft.“ Und Rainer Maria Rilke schrieb in einem Brief: „Ich habe mich oft gefragt, ob nicht gerade die Tage, die wir gezwungen sind, müßig zu sein, diejenigen sind, die wir in tiefster Tätigkeit verbringen? Ob nicht unser Handeln selbst, wenn es später kommt, nur der letzte Nachklang einer großen Bewegung ist, die in untätigen Tagen in uns geschieht?“
Sicher brauchen wir die Muße
Vielleicht auch die Stille? Bald beginnt die Karwoche, sie wird auch die „Stille Woche“ genannt. „Kar“ lässt sich ableiten aus dem Althochdeutschen Wort „kara“, und das meint Klage, Kummer, Trauer. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen mit diesen Begrifflichkeiten nichts mehr anfangen können. Höchstens mit dem Karfreitag, denn er ist ein gesetzlicher „Feiertag“. Aber ob ausschlafen und frei haben an diesem Tag gleichzeitig heißt, Muße zu haben, zur Ruhe zu kommen oder still zu werden?
Meine ostfriesische Mutter erzählte mir, dass sie als Kinder jedem Tag der Osterwoche einen Namen gegeben haben, es begann mit dem Palmsonntag:
Palmsönndag, blau Mandag, geel Dingsdag, witt Mittweek, grön Dönnerdag, still Freedag.
Der Karfreitag ist bei uns im Stift ein stiller Tag der Trauer. Es wird zum Gottesdienst eingeladen, aber dazu nur mit einer Glocke gerufen. Es ist die große schwere, die erste unserer acht Glocken, sie stammt aus der Barockzeit.
Am Abend des Gründonnerstags wurde bereits der Altar abgeräumt und sieht nun ganz kahl aus, ohne Altartuch und Blumenschmuck. Die Orgel schweigt. Zur Sterbestunde am Karfreitag um 15 Uhr versammeln wir uns zu einer Andacht, danach gehen wir schweigend auseinander.
In meinem Elternhaus wurde darauf geachtet, dass wir am Karfreitag an keinen heiteren Zusammenkünften teilnahmen. Auch der Besuch eines Kinos war gestrichen. Auf jeden Fall gab es zum Mittagessen Fisch. Eine Tradition, die auf das letzte Abendmahl weist.
Der Karsamstag dagegen war in meiner Erinnerung ein unentschlossener Tag. Der Tag zwischen Trauer und Freude. Eigentlich ein Tag zum Innehalten, doch meine Mutter traf letzte Vorbereitungen für das Osterfest, alles wurde auf Hochglanz gebracht. Die Ostereier waren gefärbt, das Grün geschnitten, der Kuchen gebacken.
Husenbusen Saterdag schloss die Karwoche ab. Und dann kam für uns Kinder endlich der hikken-bikken Sönndag und ihm folgten dann noch der eiertrüllende Mandag und der upfreten Dingsdag.
Doch zurück zur stillen Woche: Das Innehalten, die Andacht und die Stille vor dem dann befreienden, erlösenden und frohen Fest der Auferstehung gehören für mich zusammen. Schade, wer sie verpasst.
Darum wünsche ich Ihnen für die Stille Woche:
Dass Sie zur Ruhe kommen. Zeit für ein Gebet finden. In aller Stille.
Uda von der Nahmer